Auf einem Auge blind

Von Cornelia Mayrbäurl · · 2003/12

Vor wenigen Jahren haben die Paramilitärs der FARC-Guerilla die kolumbianische Erdölmetropole Barrancabermeja „abgenommen“. Die staatlichen Sicherheitskräfte schauen dem mörderischen Treiben tatenlos zu.

An einem drückend heißen Samstagnachmittag im Oktober kommen in der kolumbianischen Provinzstadt Barrancabermeja Hunderte Trauergäste, unter ihnen auch die österreichische Botschafterin, zum Begräbnis von Esperanza Miranda. Die Ventilatoren unter dem Wellblechdach der Kirche drehen sich behäbig, als der Pfarrer eine Botschaft des örtlichen Bischofs Jaime Prieto verliest: „Esperanza ist ein Opfer des Terrors. Die Paramilitärs unterscheiden sich kaum noch von den Guerillas.“ In der Predigt legt der Pfarrer nach: „Der Staat sieht nur die Gewalt einer Seite“, und er meint nämlich die der linken Guerillagruppen FARC und ELN.
Keine 48 Stunden vorher hatten drei Männer Esperanza aus ihrem Haus geholt und in einen Wagen gezerrt. Ihre 20-jährige Tochter wusste sofort, was los war, hängte sich an das Auto und wurde 200 Meter weit mitgeschleppt. Zehn Minuten später fanden Passanten Frau Miranda erschossen vor einer Schule, die nach einem linken Theologen benannt ist. Niemand bezweifelt, dass die drei Täter zur rechtsextremen paramilitärischen Gruppe AUC gehören, und niemand glaubt daran, dass dieser Mord jemals aufgeklärt werden wird. Er war der etwa neunzigste im laufenden Jahr in der Stadt.
Esperanza Miranda hatte in der international geachteten Frauengruppe Organización Femenina Popular (OFP) mitgearbeitet, die gegen die Gewalt auftritt, egal ob sie von links oder rechts kommt. Darüber hinaus scheint es keinen besonderen Grund zu geben, warum gerade sie sterben musste: Die AUC morden von Zeit zu Zeit allein deswegen, um klarzustellen, wer in Barrancabermeja das Sagen hat. Und das sind nach den Revierkämpfen vor etwa drei Jahren, die die FARC verloren hat, nun eben die Paramilitärs.

Die Stadt am Río Magdalena erschiene wie ein tropisches Urlaubsziel, würde nicht die Raffinerie der staatlichen Erdölgesellschaft Ecopetrol Feuer und Rauch in den Himmel spucken. Nicht nur die Raffineriearbeiter leben vom Öl, sondern auch die Paramilitärs, die die örtlichen Pipelines systematisch anzapfen. Angeblich kommt nur die Hälfte des durchgepumpten Benzins am Bestimmungsort an. Nicht nur Männer, sondern auch Kinder verkaufen dieses Benzin um die Hälfte des Tankstellenpreises. Wer von ihnen zu den Paramilitärs gehört und wer nicht, bleibt oft unklar. Diese haben außerhalb der Stadt ihre fixen Stützpunkte. Den größten davon hat ein Jesuitenpater bei der Polizei angezeigt – folgenlos.
Präsident Uribe Vélez ist 2002 angetreten, um mit aufgerüsteten Streitkräften die bewaffneten Gruppen zu besiegen oder zumindest in die Defensive zu drängen. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit den USA, die im Rahmen des „Plan Colombia“ allein dieses Jahr 750 Millionen US-Dollar in den Kampf gegen Drogen und Aufständische stecken. KritikerInnen werfen Uribe vor, er gehe mit den Paramilitärs wesentlich sanfter um als mit der Guerilla.

Das Labor des Friedens: „Uribe müsste einmal hierher kommen und sich klar von den AUC distanzieren. Dann wäre klar, wo der Präsident steht“, urteilt Mario Rivera, ein junger Jesuit. Er ist einer der Koordinatoren des Programms „Friedenslaboratorium“, das die Diözese Barrancabermeja gestartet hat und das bis zum Jahr 2005 mit 14,8 Mio. Euro von der EU unterstützt wird. Das Ziel ist, mit Dutzenden Projekten, die der Bevölkerung zu mehr Bildung und einem besseren Einkommen verhelfen sollen, der Gewalt den sozialen Nährboden zu entziehen. So will die EU eine Alternative zum militärisch ausgerichteten Plan Colombia aufzeigen.
Olga Tolosa arbeitet ehrenamtlich in der „Gemeinde Sieben“, einem Stadtteil mit knapp 18.000 EinwohnerInnen weitab vom Zentrum. Dort wurde eine eigene Sekundarschule aufgebaut, denn der Staat hat sich dieser Aufgabe bisher entzogen. „Der Bildungsbeauftragte der Stadt hat kein Interesse, hier eine Schule einzurichten. Je weniger gebaut wird, umso mehr Geld kann er abzweigen. Außerdem ist es für die Politiker günstiger, wenn Mangel an Bildung und Chaos herrschen“, analysiert sie.
Gegenüber dem Schulgebäude, das mit Computern gut, aber sonst karg ausgestattet ist, liegt ein Sportplatz. Während eines Festes haben die Paras 1998 dort 31 Menschen „abgeholt“, die ermordet wurden oder nie wieder aufgetaucht sind. Der „Regierungswechsel“, wie Frau Tolosa die Machtübernahme der Paramilitärs nennt, hat seine Vor- und Nachteile. Unter den Guerillas, heißt es allgemein, sei das Risiko höher gewesen, in eine Schießerei hineinzugeraten und versehentlich von einer Kugel getroffen zu werden. „Jetzt ist die Gewalt verdeckter und gezielter“, erklärt Frau Tolosa. „Aber bei den FARC hat man gewusst, wer wer ist. Unter den Paras kennen wir uns nicht mehr aus: Ein Polizist oder ein Soldat kann genauso gut mit den Paramilitärs gemeinsame Sache machen.“

PS der Redaktion: Bei den Kommunalwahlen am 26. Oktober gewann in Barrancabermeja, der Hochburg der Paramilitärs, der Links-Kandidat Edgar Cote das Bürgermeisteramt.

Die Autorin studierte Geschichte und internationale Beziehungen in Salzburg und Bologna und arbeitete als außenpolitische Redakeurin bei „Kurier“ und „Format“. Seit Anfang 2002 lebt sie als freie Journalistin in Buenos Aires und besuchte kürzlich Kolumbie

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